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Dr.
phil. Peer Heinelt
"Die Mörder sind unter uns"
Polizeiprovokationen überschatteten Proteste
gegen Gebirgsjägertreffen im bayerischen Mittenwald
Die Proteste gegen das alljährliche Pfingsttreffen
der Gebirgsjäger aus Bundeswehr und Naziwehrmacht im bayerischen
Mittenwald haben erste Erfolge gezeitigt: Gegen dreißig Wehrmachtsveteranen
laufen nach jahrzehntelanger Untätigkeit der bundesdeutschen
Justiz nun Ermittlungsverfahren wegen der Beteiligung an schwersten
Kriegsverbrechen; bei zwei der "alten Kameraden" steht
die Anklageerhebung unmittelbar bevor.
Diese erfreuliche Nachricht konnte Ulrich Sander,
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), den Teilnehmern der Demonstration
gegen das Gebirgsjägertreffen am Pfingstsamstag übermitteln.
Doch die hierdurch ausgelöste gute Stimmung hielt nicht lange
vor. Nachdem die Demonstranten bereits im Vorfeld schikanöse
Polizeikontrollen hatten über sich ergehen lassen müssen,
sahen sie sich bald mit weiteren Einschüchterungsversuchen
der Ordnungskräfte konfrontiert. Drei Personen wurden unter
dem Vorwurf der "Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole"
festgenommen, weil sie mit Parolen darauf aufmerksam machten, daß
sich die Bundeswehr im Rahmen ihrer Traditionspflege an faschistischen
Vorbildern orientiert. Eine weitere Person wurde an einem Informationsstand
der VVN in "Unterbindungsgewahrsam" genommen. Sie hatte
sich erdreistet, Josef Salminger, den Vater des heutigen Bürgermeisters
von Mittenwald, als "Mörder unter dem Edelweiß"
zu bezeichnen.
Salminger war während des Zweiten Weltkriegs
Kommandeur des Regiments 98 der 1. Gebirgsdivision, die nach ihrem
Wahrzeichen auch "Edelweiß-Division" genannt wurde.
Die 12. Kompanie seiner Truppe überfiel am 16. August 1943
das nordgriechische Dorf Kommeno und ermordete auf grausamste Weise
317 Menschen jeden Alters und beiderlei Geschlechts: Schwangere
Frauen wurden vergewaltigt, danach wurden ihnen die Bäuche
aufgeschlitzt und die Föten herausgerissen; vielen Menschen
stachen die Gebirgsjäger die Augen aus, bevor sie sie töteten.
Während die Polizei das ehrende Gedenken an Mörder
schützt, ist es für Antifaschisten schwierig, ihre Rechte
durchzusetzen. Als ein Passant dem Demonstrationsteilnehmer Ernst
Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt, nachrief, Hitler
habe vergessen, ihn zu vergasen, war es nur unter großen Mühen
möglich, einen Polizisten zu finden, bei dem dies zur Anzeige
gebracht werden konnte.
Grube eröffnete die im Anschluß an die
Demonstration stattfindende Informationsveranstaltung. Zu den Rednern
zählten Panagiotis Babouskas, der 1943 als Säugling das
Massaker der Gebirgsjäger in Lyngiades/Griechenland überlebte,
der Jude und Kommunist Jacob Szmulewicz, der als Partisan in Frankreich
gegen die Deutschen kämpfte, und Ludwig Baumann, Vorsitzender
der Vereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz. Letzterer berichtete,
daß sich die Bundeswehr stets gegen die Rehabilitierung von
Wehrmachtsdeserteuren gewandt habe. Diese sei im Jahr 2000 schließlich
erfolgt, schließe jedoch diejenigen aus, die militärisch
relevante Informationen an die Feinde Nazideutschlands weitergegeben
hatten. Eine Rehabilitierung dieser sogenannten Kriegsverräter
sei Kanzler Schröder "nicht zu vermitteln gewesen".
Redner und Teilnehmer der Veranstaltung waren sich
einig, daß die Entschädigung des überwiegenden Teils
der Opfer des Besatzungsterrors in Europa nach wie vor aussteht.
Einig war man sich auch darin, allen Formen des Geschichtsrevisionismus
entschieden entgegenzutreten. Daß dies bitter nötig ist,
zeigte der am Pfingstsonntag vom "Kameradenkreis der Gebirgstruppe"
am Hohen Brendten bei Mittenwald inszenierte "Feldgottesdienst".
Zwar wurden im Gegensatz zu früheren Jahren die Verbrechen
der Truppe nicht mehr offensiv geleugnet, aber mit dem Verweis auf
die angeblich völkerrechtswidrige Tätigkeit von Partisanen
relativiert und gegen vermeintliche alliierte Kriegsverbrechen aufgerechnet.
Veröffentlicht in: Junge Welt v. 02.06.2004,
Nr. 124, S. 15.
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- Stand: Dezember 2004 |
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