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Dr.
phil. Peer Heinelt
Partigiani
Wanderungen auf den Spuren der italienischen
Resistenza
Seit 1993 veranstaltet das in Reggio Nell' Emilia
beheimatete »Institut für die Geschichte der Resistenza
und für Zeitgeschichte« (Istoreco) regelmäßig
Bildungsreisen in die südlich des Po gelegene Emilia Romagna.
In der BRD wurde das bereits 1965 gegründete Institut vor allem
durch die Ausstellung "Partigiani" bekannt, die über
den antifaschistischen Widerstand in Italien informiert und zuletzt
in Bochum zu sehen war. Der Kampf der Partisanenverbände gegen
italienische Faschisten und deutsche Besatzer war denn auch das
Thema eines von Istoreco organisierten verlängerten Wochenendes,
bei dem rund 40 Teilnehmer aus Italien und der BRD vor einigen Wochen
die Möglichkeit hatten, mit ehemaligen Partisanen zu sprechen
und auf ihren Wegen zu wandern. Der Zeitpunkt dafür war bewußt
gewählt - vor 57 Jahren, im September 1943, hatten die ersten
Partisanengruppen den bewaffneten Kampf aufgenommen.
Ausgangspunkt der Tagesausflüge war Castelnovo
ne' Monti, ein an sich freundlicher Ort im Landkreis Reggio Emilia,
wäre da nicht das nur wenige Schritte vom Hotel entfernte Büro
der neofaschistischen Alleanza Nazionale/MSI, das immer wieder daran
erinnerte, daß auch in Italien der Ungeist der Vergangenheit
nicht nur lebendig ist, sondern sich bester Gesundheit erfreut.
Der erste Tag des Aufenthaltes begann mit einer Fahrt in den benachbarten
Landkreis Parma, wo der Partisanenverband ANPI in Sasso ein kleines
Museum eingerichtet hat. Es dient, so betonen seine Organisatoren,
weniger wissenschaftlichen Zwecken als dem Wachhalten der Erinnerung
an die eigene Geschichte, vor allem an die damit verbundenen Menschen.
Zahlreiche Porträts und Gruppenfotos von Partisaninnen und
Partisanen sind hier ausgestellt. Leonardo "Nardo" Tarantini,
ehemals Kommandant der Division "Garibaldi", erklärte
den Teilnehmern der Exkursion die strategische Bedeutung des Partisanenkampfes.
12 000 Partisanen seien allein im Landkreis Parma aktiv gewesen;
in der Emilia Romagna hätten 60 000 Menschen bewaffnet gekämpft
- eine deutsche Division zählte damals 20 000 Mann. Insgesamt
sei es den italienischen Partisanen durch ihre Aktionen gelungen,
zwei deutsche Armeen dauerhaft zu binden. "Daß diese
beiden Armeen nicht an der Front eingesetzt werden konnten, hat
wesentlich dazu beigetragen, den Krieg zu verkürzen",
so seine Schlußfolgerung.
Zu Fuß geht es weiter nach Rusino, dessen Bewohner
überwiegend antifaschistisch eingestellt und daher der SS,
die im nicht weit entfernten Ciano d' Enza ein Anti-Guerilla-Zentrum
unterhielt, ein besonderer Dorn im Auge waren. Weil nächtliche
Razzien nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, wurde
der Ort schließlich am 1. Juli 1944 vollständig zerstört.
Nachdem Donato Pini, damals Kommandeur einer katholischen Partisanengruppe
von 30 Leuten, mit dieser Geschichte des Dorfes vertraut gemacht
hat, berichtet er von den Aktionen seiner Einheit. Vorrangig war,
die Carabinieri zu entwaffnen, die deutschen Nachschubwege zu stören
und Nahrungsmittel für sich selbst und die Flüchtlinge
aus den Städten zu beschaffen. Während die deutsche Besatzungsmacht
plünderte und raubte, stellten die Partisanen den sie unterstützenden
Bauern Gutscheine aus, die nach der Befreiung vom Faschismus beim
italienischen Innenministerium eingelöst werden konnten.
Der Ausflug des folgenden Tages führt in die
Gebirgsregion um das am Rande des Naturschutzgebietes "Parco
del Gigante" gelegene Febbio. In der Nacht zum 19. Mai 1944
warfen die Alliierten hier, auf der Lichtung Lama Golese, zum ersten
Mal per Fallschirm Waffen für die Partisanen ab; ein Gedenkstein
erinnert daran. "Die Hütten, die auf der Lichtung standen",
sagt "Sprengmeister" Fernando "Toni" Cavazzini,
"waren unser Kreiswehrersatzamt, der daran vorbeifließende
Gebirgsbach unser Kühlschrank." Außerdem hätten
hier Partisanengerichte Faschisten, deutsche Besatzer und Kriminelle
aus den eigenen Reihen abgeurteilt, wobei deutsche Offiziere - auch
wenn sie Kriegsverbrechen begangen hatten - in der Regel für
einen späteren Gefangenenaustausch aufgespart worden seien.
Ab Januar 1945 habe Lama Golese dann als Anlaufstelle für diejenigen
Faschisten und Wehrmachtsangehörigen gedient, die sich ergeben
oder zu den Partisanen überlaufen wollten.
Man kann sich keinen besseren Ort als diese Lichtung
für die Vorstellung eines Buches über die Geschichte der
Resistenza denken. Nicola Brugnoli und Antonio Canovi von Istoreco
präsentieren eine Dokumentation über annähernd 500
Partisanendenkmäler der Öffentlichkeit. Sie trägt
den Titel "Le pietre dolenti", zu deutsch "Die schmerzenden
Steine". Außer einigen Medienvertretern und lokalen Honoratioren
sind selbstverständlich zahlreiche ehemalige Partisaninnen
und Partisanen anwesend. Gemeinsam mit ihnen wird das Ereignis anschließend
bei einem ausgiebigen Mittagessen gefeiert - einer der Höhepunkte
dieser Reise. Silvio Bosaver, Präsident des ANPI in Castelnovo
ne' Monti, beschreibt die Stimmung zutreffend, als er sagt, daß
der Verlauf dieses Nachmittages zeige, "daß wir zusammen
glücklich sein können".
Der dritte und letzte Tag des Aufenthaltes in der
Region Reggio Emilia beginnt einen kurzen Fußmarsch vom Hotel
entfernt an einem Denkmal für die Frauen in der Resistenza.
Die Widerstandskämpferin Giacomina Castagnetti erläutert
die hier zu sehenden Relieftafeln, die die verschiedenen Tätigkeitsfelder
der Frauen darstellen: Frauen unterstützten Soldaten, die nach
dem Sturz Mussolinis und der Bekanntgabe des Waffenstillstands am
8. September 1943 ihren Einberufungsbefehl durch die faschistische,
vollkommen von Deutschland abhängige "Republik von Salò"
verweigerten. Neben der Versorgung der Partisaneneinheiten mit Nahrungsmitteln,
Medikamenten und Kleidung nahmen Frauen eine weitere wichtige Funktion
wahr: Da sie sich im Gegensatz zu Männern im wehrfähigen
Alter relativ frei bewegen konnten, bildeten sie sogenannte Stafetten,
d.h. sie überbrachten zu Fuß oder mit dem Fahrrad Nachrichten,
Befehle und Waffen. In "Partisanenkrankenhäusern"
pflegten sie die Verwundeten. Mit anderen Worten: Frauen schufen
das Umfeld und die Infrastruktur, ohne die die Partisanenverbände
nicht hätten agieren können. Frauen haben natürlich
auch bewaffnet gekämpft, was auf einer weiteren Tafel dargestellt
ist. Allerdings waren sie eine Minderheit, da sie meist nur dann
in die Berge gingen, wenn ihre Identität Besatzern oder Faschisten
bekannt wurde, sie also für den Kampf an der unsichtbaren Front
"verbrannt" waren. Wurden Frauen von Besatzern oder Faschisten
verhaftet, hatten sie das gleiche Schicksal wie ihre männlichen
Genossen zu gewärtigen - Folter und Tod. Es wäre ein schlechtes
Denkmal, wenn an dieser Stelle nicht eine Perspektive für den
antifaschistischen Kampf der Frauen aufgezeigt würde; symbolhaft
demonstrieren sie im letzten Bild ihr neugewonnenes Bewußtsein
über die eigene soziale Rolle und die eigenen Fähigkeiten.
Warum sie damals ein "Leben mit der permanenten
Lebensgefahr" geführt habe, erklärt Giacomina wie
folgt: In einer Familie von Antifaschisten aufgewachsen, kam sie
bereits als Kind mit dem Widerstand gegen Mussolinis Überfall
auf Äthiopien in Berührung. 1940, gerade fünfzehn
Jahre alt, trat sie der Kommunistischen Partei Italiens bei und
schloß sich nach dem 8. September 1943 einer Frauenverteidigungsgruppe
an, in deren Reihen auch die soziale Frage thematisiert wurde. Die
Frauenverteidigungsgruppen blieben nach der Befreiung vom Faschismus
bestehen, denn es galt weiterhin, sich mit überholten patriarchalischen
Vorstellungen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Ein erster
Erfolg dieses Kampfes um soziale Gleichstellung war die Einführung
des Frauenwahlrechts. Heute engagiert sich Giacomina vor allem gegen
den in Italien immer wieder unternommenen "Versuch, die Geschichte
des antifaschistischen Widerstands unter den Teppich zu kehren".
Die letzte Wanderung führt in die Gegend um Gombio,
die besonders unter den Repressionsmaßnahmen der deutschen
Besatzer zu leiden hatte. Wir treffen Menschen, die teilweise zum
ersten Mal mit Fremden über die Tage sprechen, an denen Wehrmacht
oder SS in Begleitung ortskundiger Faschisten bei ihnen auftauchten.
Die verschiedenen Schilderungen der Ereignisse ähneln sich:
"Sie sind gekommen, haben alles mitgenommen, was sie finden
konnten, unsere Häuser zerstört und die Männer im
wehrfähigen Alter entweder ermordet oder zur Zwangsarbeit nach
Deutschland deportiert. Eine Entschädigung in materieller oder
moralischer Hinsicht haben wir nie erfahren."
Wer etwas über die Aktivitäten und Angebote
von Istoreco in Erfahrung bringen möchte, kann sich im Internet
unter www.istoreco.re.it informieren. Für die Region Reggio
Emilia ist bereits vor einiger Zeit unter dem Titel »Sentieri
Partigiani« (Partisanenwege) ein italienisch-, deutsch- und
englischsprachiger Wanderführer erschienen.
Veröffentlicht in: Junge Welt v. 22.11.2000,
Nr. 272, S. 12.
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- Stand: Dezember 2004 |
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